DER ERDE NÄHER

DER ERDE NÄHER
Zwei Geschichten vom Regen

von
Zeljko Hubac


(Übersetzungsrechte: Theater m.b.H., Wien)





Personen:
DINA       22
SLAVA      21
SMILJANA      18
PAWLE       26
DIMITRIJE       26
DUCE       26
MLADEN GENANNT “DER HINKER”   22
und der Papagei CLYDE


Einführende Bemerkung:
Die serbische Geschichtsforschung -  so wie unsere “Historiker” sie betreiben -  bezieht sich vor allem auf die Schlüsselereignisse, die Kriege! So gut wie nie ist in einem dieser pseudohistorischen Geschichtsbücher das Eingeständnis zu finden, daß einer dieser zahlreichen Kriege ein Eroberungskrieg gewesen sei, oder – Gott bewahre - verloren wurde. Aber selbst in solchen pseudohistorischen Werken wird, zaghaft aber doch, der serbisch-bulgarische Krieg erwähnt, den König Milan zur Eroberung des bulgarischen Gebietes jenseits des Flusses Slivnica geführt hat. Die Bulgaren haben die serbische Armee an der Slivnica besiegt und zurückgeschlagen, und nur eine Intervention der damaligen europäischen Großmächten konnte die Grenzen des serbischen Staates erhalten. 109 Jahre später fand der Krieg in Bosnien statt. Das Stück “Der Erde näher” wurde in Belgrad, Leskovac, Budva und Kozar, von November 1995 bis Januar 1998 geschrieben.

Nur eine jungfräuliche Dodola  hat die Kraft, die Wolken zu bewegen und den Regen herbeizurufen.

ERSTES BILD
Dunkel. Aus der Ferne hört man immer lauter die Sirene eines herannahenden Zuges. Der Zug hält. Sommer 1886. Belgrader Bahnhof. Mladen, ein Soldat der serbischen Armee, kommt aus dem Krieg. Mladen hat seinen rechten Arm verloren, er hinkt auffällig. Er leidet. Er erblickt seinen Vater und bleibt stehen.

MLADEN:    Vuksan! Lächle, Vater. Ich bin ja am Leben. Und möge unser Boden leben. Nur regnen muß es, dann wirst Du schon sehen. Die Stiefel bleiben drin stecken. Da muß er lebendig sein, wenn er Dich so festhält.

Irgendwo hinten sieht man Smiljana knien. Sie hat sich über das Wasser geneigt und trinkt, das Wasser netzt ihr Haar und läßt es glänzen.

MLADEN:     Da, schau. Trinkt da nicht ein Regenbogen Wasser aus der Save? Es hat geregnet und es wird wieder regnen.

DUNKEL



ZWEITES BILD
Eine Zugssirene, zuerst laut, dann immer leiser. Stille. Licht. Sommer 1995. Belgrad. Ein geräumiges Zimmer, teuer und geschmackvoll eingerichtet. Ganz hinten ein großer Käfig mit dem Papagei Clyde. Auf dem Sofa liegt Dimitrije, liest Zeitungen und trinkt langsam Whiskey aus einem Kristallglas. Dem Sofa gegenüber zwei Fauteuils, ganz hinten ein Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch dünnes Buntpapier, eine Schere, Klebstoff und eine unfertige Deltoide Konstruktion, das Skelett eines Papierdrachens. Über dem Tisch, an der Wand, hängen einige fertige Drachen. Die Nachmittagshitze kann nicht einmal der große Standventilator mildern. Aus dem Zimmer nebenan hört man Klavierspiel. Die Musik ist momentweise aufregend, die Schönheit der Dissonanzen Chatschaturjans. Dem Spiel fehlt etwas an Virtuosität. Die Musik bricht, mit einem Schlag beider Hände auf die Tastatur als Ausdruck von Unzufriedenheit, ab. Dimitrije reagiert kurz auf dieses Geräusch, dann liest er weiter. Das eintönige Summen des Ventilators wird gelegentlich vom Geräusch der Zugssirene übertönt, das durch das offene Fenster dringt. Dina kommt ins Zimmer und stellt sich vor den Ventilator. Das durchsichtige weiße Kleid schmiegt sich eng an ihren Körper.

DIMITRIJE:     Was ist los, geht’s nicht?
DINA:         Heiß ist mir. Ich hasse den Sommer.

Dina setzt sich an den Schreibtisch und beginnt die Holzkonstruktion zusammenzusetzen.

DIMITRIJE:     Ich verstehe nicht, warum Du so hartnäckig an diesem Papierdrachen bastelst, wenn in Belgrad schon seit Wochen nicht einmal einen Hauch von Wind weht?

Dina antwortet nicht. Dimitrije blättert um und erblickt einen interessanten Artikel.

DIMITRIJE:     Bitte, hör Dir das an. liest aus der Zeitung. “ Durch die kleine Stadt Certowsky, etwa 500 km von Viljuj Viljujska, auf der mittelsibirischen Hochebene, in der fernen russischen Provinz, verkehrt der Zug einmal pro Monat und der Autobus einmal pro Woche.” Der Arsch der Welt.
DINA:         Ja, und?
DIMITRIJE:    Hör weiter zu: “Dieser Zug und dieser Autobus sind for einem Monat, am 27. Juli 1995, entgegen jedem Gesetz der Wahrscheinlichkeit bei einem Bahnübergang zusammengestoßen. Dabei kamen drei Frauen ums Leben, die im übrigen die einzigen Fahrgästen des Zuges und, wie später festgestellt wurde, Schwestern waren. Im Autobus saßen keine Fahrgäste, der Chauffeur war vor dem Zusammenstoß abgesprungen.”
DINA:         Rußland...
DIMITRIJE:    Paß auf, jetzt: “Die Nachricht von diesem Vorfall brauchte von Certowsky bis Viljuj Viljujsky eine ganze Woche. Soviel Zeit war nämlich nötig, um die beim Zusammenstoß beschädigten Telephonleitungen wieder herzustellen.” Unglaublich...
DINA:        Arme Frauen, mußten die ausgerechnet an diesem Tag fahren.
DIMITRIJE:    Du meinst, in diesem Monat. er lacht
DINA:        Ich wüßte nicht, was es da zu lachen gibt.
DIMITRIJE:    Stell Dir diesen Idioten vor, der einmal im Monat die Schranke hinunterlassen soll und darauf vergißt! Beinahe hätte er die Norm erfüllt.

Die Zugssirene vom Bahnhof her wird immer stärker. Dimitrije versucht Dina zu sagen, sie soll das Fenster schließen, doch seine Stimme geht im Lärm unter. Schließlich steht er auf und macht das Fenster zu. Dann geht er zu einer Stellage mit Alkoholika und gießt sich Whiskey “Four roses” ein.

DIMITRIJE:    ... ist Dir näher.
DINA:        Wer?
DIMITRIJE:    Nicht wer, sondern was. Das Fenster. In dieser Wohnung werde ich noch taub. Ich kann überhaupt nicht begreifen, wie ich mich überreden lassen konnte, eine Wohnung beim Bahnhof zu nehmen.
DINA:        Siehst Du, in Certowsky hättest Du solche Probleme nicht.
DIMITRIJE:    Ich hätt‘ noch ein bißchen warten sollen, sicher hätte ich was Besseres gekriegt.
DINA:        Aber ich konnte nicht warten, willst Du sagen.
DIMITRIJE:      nähert sich ihr, zärtlich  Zeigst Du wieder Deine Krallen?
DINA:    Ich hab Deine Sachen aus meinem in Dein Zimmer rübergetragen. Schau nach, ob was liegen geblieben ist.
DIMITRIJE:    Was, zum Beispiel?
DINA:        Na zum Beispiel die Gummis. Ich weiß nicht, wo Du sie versteckst.
DIMITRIJE:    Ich habe keine Geheimnisse vor Dir.

Dina lächelt ironisch.

DIMITRIJE:    Dina, ich weiß, es macht Dich ein bißchen nervös, daß Pawle zurückkommt, aber übertreibst Du nicht doch ein wenig?
DINA:        Ein bißchen nervös!?
DIMITRIJE:    Schließlich werden wir es ihm doch sagen müssen.
DINA:        Vielleicht auch nicht.
DIMITRIJE:    Was soll das heißen?
DINA:    Was Du gehört hast. Daß wir es ihm nicht sagen müssen, daß ich vielleicht nicht mehr in Deiner Wohnung leben will, daß ich diese Arbeit, die Du mir verschafft hast, nicht mehr will, daß ich nicht mehr mit Dir ficken will...
DIMITRIJE:    Halt. Was ist auf einmal los mit Dir?
DINA:    Nicht auf einmal. Als mir Pawle vor einer Woche mitgeteilt hat, daß er zurückkommt, hab ich gedacht, ich habe genug Zeit über alles nachzudenken und...
DIMITRIJE:    Und?
DINA:        Es scheint, daß die Zeit nicht reicht.
DIMITRIJE:    Dina, das haben wir schon besprochen.
DINA:        Ich weiß, Dimitrije, ich weiß, daß wir das besprochen haben.
DIMITRIJE:    Ich glaube immer noch, daß Du es ihm gleich sagen solltest.
DINA:        Und ihm damit einen schönen Empfang bereiten.
DIMITRIJE:    Genau. Oder wir belügen ihn.
DINA:        Wir belügen ihn jetzt auch.
DIMITRIJE:    Und Du bist sicher, daß er nichts mitkriegt?

Dina schaut Dimitrije wütend an.

DINA:        Fünf Jahre sind Pawle und ich zusammen.
DIMITRIJE:    Wenn Du das letzte mitzählst...
DINA:        Zähle ich.

Dina steht auf, geht zum Papageienkäfig. Das Telephon klingelt. Dimitrije hebt ab. Dina nimmt das leere Wassergefäß aus dem Käfig und geht in die Küche.

DIMITRIJE:    Hallo. Duce, Du bist‘s... Seid ihr endlich durchgekommen?... Gab's Probleme beim Zoll?... Gut... Was will denn der jetzt, die Papiere sind in Ordnung... Natürlich brauchen die bei der  Fernwärme das Erdöl auch im Sommer. Sag ihm, wir bereiten die Heizsaison vor. Sag ihm, er soll seine neugierige Mutter fi... Ja, ich weiß, daß uns diese Rentner aus der Nachbarschaft angezeigt haben, weil denen sonst fad ist... Die sollen sich ihren hundertjährigen Apfelbaum und ihr Grabkreuz in den Arsch... Bring diese Schlampe mit, wie ich Dir gesagt hab‘, und alles geht in Ordnung mit dem Richter, Du wirst sehn. Hast Du mir was zum Saufen besorgt?... Bulgarischen!?.... Scheiß Sanktionen, nur Whiskey in Lizenz... Na gut, ich wart‘ auf Dich. Ciao.

Dimitrije legt auf. Dina bringt die Schüssel mit Wasser und stellt sie in den Käfig.

DINA:        Ich habe Dich gebeten, Clyde Wasser zu geben.
DIMITRIJE:    Hab‘ ich vergessen.
DINA:    Aber Du hast nicht vergessen das “Aspirinchen” nach Deinem Schnaps zu fragen.
DIMITRIJE:    Aspirinchen? Sein neuer Spitzname, nehme ich an? Du bist wirklich ein Kind...
DINA:        Er hat mich “Pfefferchen” genannt!
DIMITRIJE:    Pfefferchen! er lacht. Und warum ist Duce ein Aspirinchen?
DINA:    Weil ich ihn gezwungenermaßen tagtäglich konsumiere, vor und nach dem Frühstück, dem Mittagessen, dem Abendessen... Eine Phase von Überdosierung.
DIMITRIJE:    Als ob Du Medizin und nicht Klavier studiert hättest.
DINA:    Du könntest ihm ja anbieten bei uns zu wohnen, damit er die Zeit nicht damit verschwendet, ständig zwischen seiner und Deiner Wohnung hin und her zu pendeln.
DIMITRIJE:    Ihm auch. Keine schlechte Idee, da könnte er gleich Pawle Gesellschaft leisten.
DINA:        Red keinen Scheiß...
DIMITRIJE:    Warum bringt Dich der Duce immer auf die Palme?
DINA:        Der Duce ist mir scheißegal!

Pause

DINA:        Wirst Du Pawle morgen vom Bahnhof abholen?
DIMITRIJE:    Ich kann nicht, ich habe eine Sitzung.
DINA:        Ein außerordentliches Treffen?
DIMITRIJE:    Eine ordentliche Stadtverwaltungssitzung.
DINA:    Na klar, warum sollten Deine Geschäfte leiden, nur weil ich “ein bißchen nervös” bin.
DIMITRIJE:    Dina, ich werde den Chauffeur schicken.
DINA:        Du würdest es ihm sagen?
DIMITRIJE:    Pawle war mein Freund.
DINA:        Warum ist er das nicht mehr?
DIMITRIJE:    Weil wir beide es wollten, Du erinnerst Dich? Ich hätt‘s ihm schreiben können...
DINA:    Und ihn dann fürs ganze Leben auf dem Gewissen haben. Als ob Du Dir nicht eingestehen willst, daß dort ein echter Krieg war, ein echter Krieg, in den Du ihn...
DIMITRIJE:    Hör auf!

Dina setzt sich aufs Sofa

DINA:        Ich hab Kopfschmerzen.

Dimitrije nimmt die Whiskeyflasche und setzt sich neben Dina. Er beginnt ihre Schläfer zu massieren.
DIMITRIJE:    Du bist verspannt, entspann Dich.
DINA:        Ich kann mich nicht entspannen.
DIMITRIJE:    Komm, besaufen wir uns, wie am ersten Abend.
DINA:    Und dann geben wir wieder dem Whiskey die Schuld an allem. Diesem alten amerikanischen Asyl für Schuldgefühle.
DINA:        Es wär aber nicht nur der Whiskey schuld...

Dimitrije umarmt Dina, sie schmiegt sich an ihn.

DINA:    Ich fühle mich schrecklich, Dimitrije. Am liebsten würde ich abhauen, irgendwohin...
DIMITRIJE:    Entspann Dich.
DINA:        Hörst Du mir zu?
DIMITRIJE:    Alles wird gut, alles.
DINA:    Diese Hitze ist unerträglich. Wenn wenigstens ein Tropfen Regen fiele, um...

Dimitrije unterbricht Dina mit einem Kuß. Sie läßt es zu. Sie umarmen einander, er legt sie langsam aufs Sofa.

DUNKEL



DRITTES BILD
Sommer 1995. Nacht. Straße. Slava steht bei Duce.

SLAVA:    spricht mit bosnischem Akzent  Falls Du der Duce bist, dann heißt das,  Du hast Dich verspätet, wenn Du es nicht bist...

Duce nimmt Zigaretten aus der Sakkotasche, “Marlboro”, harte Packung. Er bietet sie Slava an.

DUCE:        Zigarette?

Slava nimmt eine Zigarette. Duce zündet sie ihr an. Er hält ihr das brennende Feuerzeug nahe ans Gesicht.

DUCE:    Du bist hübscher als auf dem Foto. Schöne Lippen. Wie heißt Du?
SLAVA:    Wie hättest Du’s gern?
DUCE:        Bosnierin?
SLAVA:    Man hört’s, oder?
DUCE:        Kaum. Von wo?
SLAVA:    Aus Alipasin Polje.
DUCE:        Scheiße. Wo ist denn das?
SLAVA:    Sarajevo. Bezirk “Novi grad”.
DUCE:        Gehört das uns?
SLAVA:    Noch.

Duce läßt das Feuerzeug verlöschen.

SLAVA:    Und Du?
DUCE:        Ich rauche nicht.
SLAVA:    Wozu hast Du dann Zigaretten?
DUCE:        Für solche Lippen, zum Beispiel.
SLAVA:    Genau. Sie haben mir nicht genauer sagen können, was Du willst, aber was immer es ist, ohne Geld geht nichts.
DUCE:        Bist Du immer so direkt mit der Kundschaft?
SLAVA:    Kommt drauf an.

Duce zieht eine übervolle Brieftasche heraus und entnimmt ihr einige 100 DM-Scheine. Er reicht sie Slava.

SLAVA:    Ist das viel Geld?
DUCE:        Genug.
SLAVA:    Das, in der Brieftasche.

Duce lacht. Slava auch.

SLAVA:    Und was willst Du dafür?
DUCE:        Für den Anfang Deinen Namen.

DUNKEL



VIERTES BILD
Sommer 1886. Eine Wiese an der Belgrader Peripherie, das Vozdovacko Polje. Smiljana und Mladen.

SMILJANA:    Smiljana.
MLADEN:    Hab keine Angst, Smiljana.
SMILJANA:    Ich hab keine Angst. Wer bist Du, was suchst Du hier?
MLADEN:    Das ist mein Land.
SMILJANA:    Diese Wiese?
MLADEN:    Und noch zwei, unten am Berg. Ich hab auch bei Belgrad Land.
SMILJANA:    Setzt dich.

Mladen setzt sich etwas abseits von Smiljana. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn.

MLADEN:    Schwül, dieser Sommer, nicht?
SMILJANA:    Wie heißt denn Du?
MLADEN:    Mladen. Sie nennen mich “Hinker”.
SMILJANA:    Weil du hinkst?
MLADEN:    Genau. Für den Arm haben sie mir keinen Namen gegeben.
SMILJANA:    Hast Du das aus dem Krieg?
MLADEN:    Aus dem Krieg. Getroffen hat’s mich, wie ich aus Pirot  geflohen bin - vor den Bulgaren.
Pause.

MLADEN:    Das ist nicht gut - so lange kein Regen.
SMILJANA:    Es gibt keinen Wind, der ihn bringt. In der Gegend, aus der meine Mutter ist, singen die Mädchen um Regen. Wenn sie Jungfrauen sind, können sie ihn rufen.
MLADEN:    Kannst Du ihn rufen?

Smiljana senkt den Blick. Mladen scheint es, als schämte sie sich.

MLADEN:    Von wo bist Du?
SMILJANA:    Aus Sabac.
MLADEN:    Was machst Du hier, wenn Du aus Sabac bist?
SMILJANA:    Ich lebe hier.
MLADEN:    Auf Vozdovacko? Ich hab Dich früher nie gesehen.
SMILJANA:    Ungefähr ein Jahr bin ich da, bei der Tante. Ich hab sonst niemand.
MLADEN:    Die Deinen sind umgekommen?
SMILJANA:    Gestorben.
MLADEN:    Bist Du jeden Tag da?
SMILJANA:    Jeden.
MLADEN:    Warum?
SMILJANA:    Ich warte.
MLADEN:    Auf wen wartest Du?

Pause.

SMILJANA:    Nicht wichtig. Ich bin gern allein.

Mladen sieht sich um und steht auf.

MLADEN:    Na dann geh ich.
SMILJANA:    Bleib da!

Smiljana ergreift,  in der Absicht ihn zurückzuhalten, zufällig den Ärmel, in dem kein Arm ist. Das Ende des Ärmel, das in der Tasche steckte, fällt heraus. Smiljana erschrickt, läßt den Ärmel los. Mladen steckt ihn schnell wieder in die Tasche.

MLADEN:    Ich würde morgen wieder kommen.
SMILJANA:    Komm, es ist Dein Land.
MLADEN:    Wirst Du da sein?
SMILJANA:    Werde ich.

Mladen schaut zu Boden, Smiljana schaut ihn an. Mladen faßt Mut und schaut ihr in die Augen. Sie, fröhlich, prall und schön, ist fast eine erwachsene Frau.

DUNKEL



FÜNFTES BILD
Sommer 1995. Belgrad. Das Zimmer in Dimitrijes Wohnung. Abend. Aus dem Badezimmer hört man das Wasser der Dusche rinnen, das Geräusch mischt sich mit dem Summen des Ventilators. Dina bügelt ein Hemd. Dimitrije kommt aus einem Zimmer, er hält einen Anzug in der Hand, den er auf einen Fauteuil legt.

DIMITRIJE:    Ist das Hemd fertig?
DINA:        Augenblick.
DIMITRIJE:    Immer wenn sie ein Opfer brauchen, bin ich dran. Ob ich private Verpflichtungen habe, ist denen scheißegal.

Dimitrije beginnt sich umzuziehen

DINA:        Zieh Dich nicht hier um, Pawle kann Dich sehen.
DIMITRIJE:    Er hat mich schon vor Dir in Unterhosen gesehen.
DINA:        Wirklich, Du übertreibst...
DIMITRIJE:    Der Mann duscht. Glaubst Du, er hat nur das Wasser aufgedreht und beobachtet uns vom Vorzimmer aus?
DINA:        reicht Dimitrije das Hemd.  Bitte. Beeil Dich!
DIMITRIJE:    Du bist schon paranoid. Ich werde noch wahnsinnig. Ich fühle mich...
DINA:        Verlogen?
DIMITRIJE:    Na ja, er hat ein ganzes Jahr nicht gefickt, er hat das Gewehr genommen und den Schwanz im Tresor der Volksbank deponiert.
DINA:        Sei nicht vulgär.
DIMITRIJE:    Ich muß vulgär sein. Eine ganze Woche ist er schon da, Du schweigst und mir erlaubst Du nicht, es ihm zu sagen. Begreifst Du nicht, daß er uns zu Idioten macht?
DINA:        Er uns?
DIMITRIJE:    Dina, ich bin überzeugt, daß Pawle schon alles weiß und es einfach genießt, uns zuzuschauen wie wir...
DINA:        Ich bitte Dich, hör auf, hör auf!

Pause. Dina und Dimitrije schauen sich lange an. Ihre Blicke sind kalt. Von draußen hört man eine Autohupe. Im erstem Moment reagieren sie nicht drauf. Der Fahrer ist hartnäckig.

DIMITRIJE:    leise Das ist mein Chauffeur. Ich muß gehen.

Dina schweigt weiter. Dimitrije küßt sie, richtet sich den Anzug vor dem Spiegel und geht. Dina macht das Fenster zu, danach setzt sie sich an den Schreibtisch und baut den Papierdrachen weiter. Man hört das Wasser im Badezimmer nicht mehr rinnen. Ins Zimmer kommt Pawle im Bademantel.

DINA:        Du bist schon fertig. War genug warmes Wasser im Boiler?
PAWLE:    Ja.
DINA:    Dieser Bademantel von Dimitrije ist Dir zu kurz. Ich kauf Dir einen anderen.

Pawle geht zum Käfig

DINA:        Morgen feiern wir Clydes Geburtstag.
PAWLE:    Ja?
DINA:        Als Vorwand für ein “geschäftliches” Treffen.
PAWLE:    Der Richter kommt also morgen?
DINA:        Duce bringt die Hure schon heute mit.
PAWLE:    Wo ist denn der Gastgeber?
DINA:    Ein dringender Anruf aus dem Stadtparlament, es geht um Proteste. Ein paar Bauer blockieren die Autobahn.
PAWLE:    Bauern! Warum?
DINA:    Wahrscheinlich wegen der Ankaufspreise fürs Getreide, was weiß ich. Ich weiß es nicht und es interessiert mich nicht. Du solltest morgen beim Geburtstagsfest auch dabei sein.
PAWLE:    Beim “geschäftlich-erotischen” Treffen? Wir könnten die Zeit gescheiter nützen.
DINA:    Du weißt doch, daß ich die Gastgeberin spielen muß. Ich hab’s  Dimitrije versprochen.

Pawle nimmt das weiße Tuch, mit dem der Käfig zugedeckt wird.

DINA:    Schau doch morgen beim Gemüsemarkt vorbei und kauf Clyde diese Samen, damit er sich freut. Erinnerst Du Dich, wie er und Bonnie um die Samen gestritten haben...
PAWLE:    deckt den Käfig mit dem Tuch zu. Ich erinnere mich. Gute Nacht, Clyde. Er geht zur Schnapsstellage und schenkt sich einen Whiskey ein.
DINA:        Pawle, Du darfst nicht trinken, wegen der Medikamente.

Pawle trinkt aus, schenkt sich noch einen ein und setzt sich aufs Sofa. Dina steht auf und geht zu ihm. Sie berührt sein Haar.

DINA:        Dein Haar ist naß. Willst Du den Fön?
PAWLE:    Brauch ich nicht.
DINA:        Du hast immer noch Fieber. Wann sagt dieser Arzt endlich was?
PAWLE:    Er hat mir heut wieder Blut abgezapft.
DINA:        Wofür bezahl ich ihn, zum Blutsaugen?

Pawle schaut Dina an.

PAWLE:    Du meinst, um Blut zu saugen? Mit der Grammatik stehst Du auf Kriegsfuß.

Dina geht zu Pawle und nimmt ihm das Glas weg.
DINA:    Du darfst nicht trinken! sie geht zur Stellage und stellt das Glas ab. Ich geh schlafen. Kommst Du mit mir?
PAWLE:    Es ist heiß, ich schlafe auf dem Sofa.
DINA:        Seit Du in Belgrad bist, haben wir nicht...
PAWLE:    Ich schlaf auf dem Sofa!

Dina geht hinaus. Pawle steht auf, schenkt sich noch einen ein, dann geht er zum Fenster, öffnet es und schaut hinaus.

PAWLE:    Höllisch heiß.

Er trinkt aus.

DUNKEL


SECHSTES BILD
Sommer 1886. Vozdovacko Polje. Tag. Smiljana und Mladen.
SMILJANA:    Heute genau vor einem Jahr ist mein Vater gestorben. Am Tag des heiligen Petrus. Damals hat es auch so gebrannt. Und heute bin ich so... glücklich...
MLADEN:    Woran ist Dein Vater gestorben?
SMILJANA:    Einfach so... am Leid. Kaum hat er die Mutter begraben, hat er zu trinken begonnen, dann haben sie wegen der Schulden sein Geschäft geschlossen, am Haus war eine Hypothek, und er hat nichts gehabt zum Zurückzahlen.
MLADEN:    War Dein Vater im Krieg?
SMILJANA:    Nein. Den angeseheneren Kaufleuten in Sabac ist das erspart geblieben.
MLADEN:    Wenn das nur in Sabac so wäre... Er hat wohl geliebt?

Smiljana schweigt.

MLADEN:    Und Du, liebst Du auch?
SMILJANA:    Die Leute sagen, er hat sich im Wirtshaus besoffen, hat ständig laut über König Milan geschimpft und gesagt, daß dieser Krieg gegen die Bulgaren nicht gerecht ist, und daß wir ihn deshalb verlieren werden. Eines Abends hat er sich nach Hause geschleppt, blutig, verdroschen, hat sich auf die Ottomane gelegt und... ist eingeschlafen. Und auf mich hat er vergessen.

Pause

SMILJANA:    Hast Du jemals weggehen wollen?
MLADEN:    Wohin gehen?
SMILJANA:    Egal, nur nicht da sein.
MLADEN:    Ich wüßt nicht warum?
SMILJANA:    Weil‘s Leid gibt.
MLADEN:    Dort ist kein Leid...
SMILJANA:    Du hast den Krieg und den Arm verloren. Um was tut`s Dir mehr leid?
MLADEN:    Der Arm, der Arm, um den tut‘s mir leid!
SMILJANA:    Genug Grund zu gehen. Wie mich die Tante hierher gebracht hat, habe ich begriffen, was alles für mich verloren ist. Wenn Du alles verlierst, zwingt Dich etwas zu fliehen. Jeden Tag bin ich in die Stadt hinuntergegangen, zum Bahnhof, und hab die Züge angeschaut. Vorher hab ich sie nie gesehen, hab nur Geschichten über sie gehört... in Sabac. Die Menschen sind in diese Eisendinger gestiegen und sind weg, wer weiß wohin... Mir wares, als ob dort, wo sie hingehen...
MLADEN:    ... kein Leid ist?
SMILJANA:    Sie haben erzählt, daß die Züge schnell fahren, schneller als alles andere. Ich hab gedacht, sie sind so schnell, daß Dich das Leid nicht einholen kann.
MLADEN:    Und warum bist Du nicht weg?
SMILJANA:    Wegen der Wolke. Jeder Zug hat zuerst aufgeheult, bevor er weggefahren ist und hat eine große Wolke rußigen Dampf ausgestoßen, die hat sich auf mich gelegt und in diesem dicken Rauch konnte mich niemand sehen. In ihr drin hab ich alles gekonnt. Ich konnte lachen. Diese Wolke branche ich, damit ich mich auf die Reise traue, aber nur ein Wind kann sie wegtragen... Ich bin kein Wind. Seitdem sitze ich hier und warte auf ihn. Ich warte auf den Wind, damit ich aufbrechen kann.

Donner.

MLADEN:    Es donnert, Du hast den Regen gerufen, Smiljana.
SMILJANA:    Es gibt keinen Wind, Mladen, es gibt keine Wolken.

Es donnert immer stärker, wie Kanonensalven.

SMILJANA:    Schneller als die Züge ist es. Schneller. Ich bin so glücklich, sag mir, warum ich so glücklich bin...

DUNKEL



SIEBTES BILD
Sommer 1995. Nacht. Das Zimmer in der Belgrader Wohnung. Auf dem Bett sitzt Pawle, schaut fern ohne Ton. Neben dem Schreibtisch steht Duce und schaut den Papierdrachen an. Neben der Tür steht Slava. In der Hand hält sie einen Koffer. Der Ventilator summt penetrant.

DUCE:    Sie baut Papierdrachen, Du glotzst  MTV ohne Ton, ich kann’s nicht glauben. Andere an Deiner Stelle könnten‘s kaum erwarten Zivilluft zu inhalieren. Er nimmt die Zeitung vom Tisch - “Nasa borba” .
Und wie ich sehe, bildest Du Dich auch politisch. Gibt’s was zum Fressen?
PAWLE:    Ich weiß nicht, schau in die Küche.   

Duce geht zur Küche, bleibt einen Moment stehen.

DUCE:    schreit wie ein Kolporteur. Die neuesten Nachrichten: Die Frontlinie zwischen Zemun polje  und Ada ciganlija  ist stabilisiert! Es folgt der Gegenangriff!
PAWLE:    Hör auf mit dem Scheiß...
DUCE:        Keine Toten, der reinste Defätismus.

Er geht. Slava läßt den Koffer neben dem Sofa stehen, geht zu Pawle, will sich vorstellen und wird von Duce unterbrochen, der zur Tür hereinschaut.

DUCE:    Hab ganz vergessen. Das ist Slava, das ist Pawle, macht Euch bekannt und so... Pawle, kann ich diesen Schinken aus dem Kühlschrank nehmen?
PAWLE:    Ganz nach Belieben, mein Kühlschrank ist Dein Kühlschrank.

Duce ist nur kurz weg. Kaum will Slava etwas sagen, unterbricht sie Duce.

DUCE:    Leute, seid ihr vielleicht auch hungrig, soll ich Euch ein Sandwich machen?
SLAVA:    Nein, danke.
DUCE:    Um Gottes Willen, Slava, setzt Dich, Du mußt doch nicht stehen. Pawle, biet‘ dem Mädel was zu trinken an.

Duce geht endlich hinaus. Slava steht weiterhin. Pawle schaut sie an und deutet ihr mit der Hand sich zu setzen. Dann steht er auf, geht zur Stellage mit den Getränken.

PAWLE:    Setzt Dich. Was trinkst Du?
SLAVA:    Egal.

Slava setzt sich aufs Sofa. Pawle schenkt Whiskey für sich und Slava ein. Er geht zum Sofa, gibt Slava das Glas und setzt sich in einen Fauteuil.

PAWLE:    Bitte.
SLAVA:    Was ist das?
PAWLE:    Whiskey. Der hiesige Lieblingsdrink.

Aus der Küche hört man Geschirrgeklapper und Teller zerbrechen..

DUCE:    aus der Küche  Scheißteller!

Der Krach dauert an. Ins Zimmer kommt Dina in einem gestreiften Herrenpyjama, sie ist gerade aufgewacht. Sie reibt sich die Augen, geht zur Stellage und schenkt sich einen Whiskey ein.

DINA:    Duce, ich hab` Dich durch alle Türen gehört, Du Idiot! Nimm die Füße aus dem Geschirr...  sie geht zum Fauteuil um sich zu setzen. Sie bemerkt den Koffer. Aus der Küche hört man es wieder krachen. Ich fürchte mich schon, morgen die Küche zu betreten. zu Pawle. Zünd mir eine Zigarette an, bitte.

Dina setzt sich in den Fauteuil, Pawle zündet ihr die Zigarette. Duce kommt herein.

DUCE:    sieht Dina, zuckt mit den Achseln. Scheiße, Pfefferchen, was soll ich machen...
DINA:    Gib das Geschirr in die Waschmaschine und schalt den Schleudergang ein, das ist weniger laut. Und hör auf, mich Pfefferchen zu nennen.
DUCE:        Das bringst nur Du fertig, alle Teller in der Abwasch stehn zu haben.
DINA:        Zwei saubere waren in der Lade.
DUCE:        In der Lade!?
DINA:        Ich versteck sie vor Dir, damit noch welche da sind zum Frühstück.
DUCE:        Willst Du ein Sandwich?

Dina winkt ab.
DUCE:    Du mußt essen, Du hast abgenommen seit Deinem Diplom. Topform ist die erste Voraussetzung für Kreativität.
DINA:    Wofür, für die Werbespots und für’s Herumhocken im Schneideraum? Außerordentlich kreativ...
DUCE:    Bringt aber gutes Geld. nahe an Dinas Gesicht. Was hast Du nur für eine schlampige Beziehung zum Lächeln? Wir wollen die Zähnchen sehen!

Dina lächelt gekünstelt

SLAVA:    Duce, ich hätte gern, daß Du mir das Zimmer zeigst, ich bin müde.
DUCE:        Gleich, gleich... Dina, hat Dich Pawle mit Slava bekannt gemacht?
DINA:        Ich hatte nur mit ihrem Koffer die Ehre.
DUCE:    Also, laßt uns die Horizonte erweitern. Das ist Dina, das ist Slava. Slava kommt aus Bosnien und Bosnien, das ist dieses Heilige Land, weißt Du, er bekreuzigt sich. aus dem sich unser Rambo er zeigt auf Pawle  taktisch zurückgezogen hat, in dieser legendären Militäroperation, genannt Flucht...
PAWLE:    Duce!
DINA:        Bitte, hebt Euch Euere idiotischen Streitereien für morgen auf.
DUCE:    Wenn Du meinst... zu Dina. Ihr wißt ja, Slava wird hier übernachten. Ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen.
PAWLE:    Auch wenn wir was dagegen hätten, die Wohnung gehört Dimitrije.
DINA:         Pawle!
DUCE:        zu Pawle im Spaß Ich hasse die Vermieter auch. Gelächter.
DINA:         zu Duce. Das Mädchen wartet darauf, daß Du ihr das Zimmer zeigst!
DUCE:        zu Slava Gehen wir.

Slava steht auf, Duce nimmt ihren Koffer.

DUCE:        zu Dina. Hast Du alles für Clydes “Geburtstag” vorbereitet?
DINA:        Hab ich.
DUCE:        Sehr gut, jetzt müssen wir nur noch Dich vorbereiten, Slava...
SLAVA:    Clyde, ist das dieser Richter?
DUCE:        Nein, das ist der Papagei.
SLAVA:    Papagei!?
DUCE:    Onkel Duce wird Dir alles erklären. Komm, ich zeig Dir das Zimmer und dann stürze ich mich endlich aufs Essen. Mir kommt der Magen schon hinten raus.

Slava und Duce gehen in ein anderes Zimmer.

DINA:    zu Pawle, nachdem sie hinausgegangen sind. Du bist manchmal wirklich grausam mit diesen Anspielungen, daß die Bude Dimitrije gehört. Er hat uns hosten los aufgenommen...
PAWLE:    Dich hat er aufgeommen.
DINA:    Wie oft soll ich Dir wiederholen? Ich bin ohne Geld geblieben! Was hätte ich tun sollen, nach Pristina zurück gehen, oder auf der Straße schlafen bis sich mein allmächtiger Liebster erbarmt und von den bosnischen Bergen herunterkommt.

Pawle schaut sie an und trinkt aus.

DINA:        Du hast mich daran gewöhnt, Pawle, von Dir abhängig zu sein.

Duce im Vorbeigehen zur Küche.

DUCE:    Dina, mein Pfefferchen, warum schläfst Du nicht um diese Zeit? Du weißt, in Deinen lehrreichen Frauenmagazinen steht, der Schlaf ist unglaublich wichtig für den Teint.

Dina zieht den Pantoffel aus und zielt damit auf Duce. Er flieht in die Küche.

DINA:        Ich hab Dir gesagt, Du sollst mich nicht so nennen!

Dina steht auf, um den Pantoffel zu holen, hebt ihn vom Boden auf, wendet sich zu Pawle und geht hinaus. Ins Zimmer kommt Duce, er trägt den Teller mit den Sandwichs und ein Glas Milch. Er stellt alles auf den Tisch und geht zum Ventilator um ihn zu sich zu drehen.

DUCE:    Darf ich? Ich werde wahnsinnig bei dieser Hitze. Dina geht mit den Hühner schlafen seit sie arbeitet. Fuck, wär gut gegen Deine Schlafstörungen, ich meine bei irgendeiner Firma arbeiten, damit Du Dich wieder eingewöhnst, Adaptation und so... Frag  Dimitrije, der kann dir einen Job besorgen. Schau, wie er Dina untergebracht hat, RTS , Musikredaktion, gute Bezahlung, Galapfusch. Gleich ein anderer Mensch. Willst du ein Sandwich?

Pawle schweigt. Duce setzt sich aufs Sofa. Er fängt zu essen an.

DUCE:    Wer nicht will, kriegt weniger in den Arsch, wie man poetisch sagt. Er ißt. Pause. Du, Du hast Dich nicht bei Deinen Leuten gemeldet, daß du zurück bist, oder? Als ob der Dusanovac  am Ende der Welt wär. Ich fahr Dich hin. Die müssen vor Kummer schon verrückt sein. Sicher glotzen sie jede Nacht in die Kiste und wühlen in den Gefallenenlisten.
Noch eine lange Pause.

DUCE:        Was ist, bist Du jetzt sauer auf mich?
PAWLE:    Ich bin nicht sauer.
DUCE:    Na, sag was, wirst Dir schon nicht den Mund verbrennen. Ich denke da an Dich, bring Dir die Mieze auf die Bude, damit Du ein bißchen schwitzst, damit dieses Fieber runtergeht, und Du bist so. So, nur so...

Pawle steht auf, geht zur Stellage, schenkt sich einen Whiskey ein, geht zum Tisch zurück und setzt sich in den Fauteuil  Duce gegenüber.

PAWLE:    Ach, so, Du hast sie für mich mitgebracht. Und Dina?
DUCE:        Ach, was... Dina. Dina schläft.
PAWLE:    Danke, ich möchte Dir ungern die Ware abnutzen. Du wirst sie morgen zum Schmieren brauchen. Diese Geldwaschanlage muß doch gebaut werden.
DUCE:    Mein Geld ist rein wie Gold und ich brauch’s nicht waschen, Deine Unterstellung trifft mich nicht. Das Land habe ich ehrlich erworben und werde drauf auch bauen.
PAWLE:    Mit einem Friedhof im Fundament.
DUCE:    Was für ein Scheißfriedhof, ein einziges Grabkreuz und das ist schon hundert Jahre alt. Ich weiß nicht was für Idioten ihn dort eingegraben haben.
PAWLE:    Die Idiotenfamilie angeblich.
DUCE:        Er hatte keine Familie. Der Anwalt hat‘s überprüft.
PAWLE:    Und wer hat Dich dann angezeigt?
DUCE:    Die Rentner aus der Nachbarschaft, die sonst nichts zu tun haben. Stell Dir vor, die putzen dieses Grab, zünden Kerzen an, besuchen es an Allerseelen und wissen nicht einmal wer dieser Arme ist, der da liegt. Dann sagen sie noch, dieser unfruchtbare Baum über dem Kreuz, ist genauso alt wie das Grab, drum darf man ihn nicht fällen.
PAWLE:    Und Du würdest, ruhigen Gewissens, so einen hundertjährigen Zeugen fällen.
DUCE:    Was für ein hundertjähriger Zeuge, das ist keine Sequoia , das ist ein Apfelbaum. Wo hast Du einen hundertjährigen Apfelbaum gesehen? Die sind doch alle nur alt, abergläubisch und angeschissen... Den Toten soll man halt dorthin bringen wo er hingehört, auf den Friedhof, ich kauf ihm eine Parzelle. Weißt Du, wie ihn die Kids nennen? Den Vampir vom Vozdovac. Der schreckt nur Kinder.
PAWLE:    Darum errichtet ihr ihnen, der Dimitrije und Du, statt dem Vampir-Grabkreuz eine Tankstelle. Plant ihr vielleicht auch einen Kindergarten dazu?
DUCE:    Benzin dazu, Benzin. Das ist etwas, was in der normalen Welt aus diesen uns fremden, schlauchartigen Vorrichtungen an Tankstellen ausgeschenkt wird und nicht wie bei uns aus den Cola - Plastikflaschen in Sackgassen.
PAWLE:    Schau an, eine Chance zur Evolution.
DUCE:    Schau. Was willst Du von mir? Mich verarschen, was... plötzlich stellt er das Glas auf den Tisch, stößt dabei an den Teller, so daß das Sandwich zu Boden fällt. Shit, Duce... er sammelt die Reste des Sandwiches vom Boden auf. Darf jetzt keiner mehr Geld machen, nur weil der Herr sich “dort, weit weg” eine blutige Unterwäsche eingehandelt hat? Reib sie dem unter die Nase, für den Du sie blutig gemacht hast, nicht mir. Ich hab‘s eben geschafft diesen Militärbullen zu entwischen, Du nicht. Wir haben beide von Dimitrije verlangt, seine Beziehungen spielen zu lassen. Warum‘s bei Dir nicht geklappt hat, mußt Du ihn fragen, nicht mich. Ich bin sauber in der Sache, sauber, sauber! Ich hör nichts, ich seh nichts und ich stell mich dumm! Er legt die Sandwichreste auf den Teller, steht auf und geht zum Zimmer. Für einen Augenblick bleibt er stehen und dreht sich zu Pawle zurück. Übrigens, Pawle, Du stellst Dich auch dumm.

Duce geht ins Zimmer. Pawle setzt sich vor den Fernseher.

DUNKEL

ACHTES BILD
Slava im weißen Slip und langem T-Shirt. Sie steht vor dem Spiegel. In ihren Augen eine Mischung von Ohnmacht und Haß. Ihr Körper krampft sich zusammen. Sie keucht, zuerst leise dann immer intensiver und schneller. Sie stößt mit den Händen gegen den Spiegel. Ihr ganzer Körper verkrampft sich. Das Keuchen geht in Schreie über, dann in Angstgeschrei und schmerzliches Vergnügen. Sie sackt erschöpft zusammen. Die Stille wird durch die Zugssirene unterbrochen. Slava greift mit der Hand in Richtung der Geräuschquelle.

DUNKEL



NEUNTES BILD
Das Zimmer in Dimitrijes Wohnung. Dunkel. Man sieht das Flimmern des eingeschalteten Fernsehapparates und hört Schüsse, Detonationen, Schreie von Menschen. Das sind Geräusche des Films, der im Fernsehen läuft, “Der Sand des Ivo Jim”. Der Lärm hat Dina geweckt. Sie kommt ins Zimmer, schläfrig und verärgert.

DINA:        Um Gottes Willen, werdet ihr mich heute nacht schlafen lassen...

Dina sieht Pawle, der auf dem Sofa schläft. Sie schweigt. Über Pawle gebeugt steht Dimitrije, schaut ihn an und schweigt. Dina kommt und deckt Pawle mit einer Decke zu. Sie will den Fernseher abdrehen, aber Dimitrije hindert sie daran.

DIMITRIJE:    Endlich ist er eingeschlafen.

DUNKEL



ZEHNTES BILD
Sommer 1886. Das Vozdovacko Polje. Smiljana und Mladen. Mladen‘s Kopf liegt in Smiljanas Schoß. Sie flicht einen Blumenkranz. Es ist heiß, die Nachmittagssonne brennt.

SMILJANA:    Schläfst Du?
MLADEN:    Nein, es ist nur so herrlich, zu schweigen.

Smiljana wischt sich den Schweiß von der Stirn.

SMILJANA:    Und nachmittags brennt es so. Wenn diese Baumkrone nicht wär‘, wüßt‘ ich nicht wie wir’s aushalten sollen. Sag, warum habt ihr nur einen einzigen Baum mitten in die Wiese gepflanzt.
MLADEN:    Wir haben ihn nicht gepflanzt.
SMILJANA:    Sondern?
MLADEN:    Weiß nicht. Man sagt, der war schon immer da.
SMILJANA:    Der Apfelbaum?
MLADEN:    Ja, der Apfelbaum.
SMILJANA:    Seltsam.
MLADEN:    Von diesem Apfelbaum sagen die Frauen im Dorf, er ist heilig - wie ein Gebet.
SMILJANA:     Worum?
MLADEN:    Um Fruchtbarkeit. Frauen, die nicht schwanger werden, kommen früh morgens hierher, umschlingen den Stamm mit den Beinen und...
SMILJANA:    Und?
MLADEN:    Und so treten sie uns den ganzen Klee nieder. Darum bauen wir hier nichts mehr an. Was aufgeht, geht auf.
SMILJANA:    Hilft es wenigstens?
MLADEN:    Woher soll ich‘s wissen. Darüber redet man nicht viel.
SMILJANA:    Wenn es nicht hilft - fällt ihn und baut Getreide an. Der Boden ist gut, fruchtbar.
MLADEN:    Ich weiß nicht, der Vater sagt, wenn er heilig ist, ist es eine Sünde.
SMILJANA:    Wenn nicht, ist es eine noch größere Sünde.
MLADEN:    Wer soll das wissen. So ist er wenigstens für den Schatten gut. Es gibt genug Land. Gott sei Dank.
SMILJANA:    Gott sei Dank. Pause. Dein Vater hat mich heute im Internat gesucht.
MLADEN:    Vuksan? Er erhebt sich. Woher weiß er von Dir?
SMILJANA:    Gesagt wird man es ihm haben.
MLADEN:    Wer?
SMILJANA:    Die Leute gehen über diesen Weg neben der Wiese und schauen. Und Du hast ihm nichts erzählt?
MLADEN:    Hab ich nicht.
SMILJANA:    Warum nicht?

Mladen steht auf, zündet sich eine Zigarette an. Er zieht kräftig ein.

MLADEN:    Und, was wollte Vuksan?
SMILJANA:     Ist gekommen mich zu fragen, ob ich Dich heirate.
MLADEN:     Was hat er Dich das zu fragen?
SMILJANA:     Er ist Dein Vater.
MLADEN:    Überall steckt der seine Nase hinein.
SMILJANA:     Ich hab ihm gesagt, ich würd‘s.

Mladen rührt sich nicht. Er schaut Smiljana an, ihre Prallheit, Jugend, Schönheit.

MLADEN:     Smiljana...

Mladen kniet sich neben sie, schmeißt die Zigarette weg, nimmt ihre Hand, küßt sie und legt sie an seine Wange. Er fährt mit seinem Finger durch ihr kohlrabenschwarzes, dichtes Haar. Dann nimmt er ihren Kopf, beginnt sie zu küssen, berührt ihren Busen, er möchte sie ganz umschlingen - mit einem Arm. Sie sträubt sich.

SMILJANA:    Nicht, Mladen, es kann uns wer sehen. Es ist Tag.

Er küßt sie weiter, berührt sie. Sie wehrt sich, reißt sich los.

SMILJANA:    Nicht! sie steht auf, macht sich zurecht, kehrt ihm den Rücken. Noch nicht.
Pause. Smiljana wendet sich zu Mladen. Sie bückt sich, nimmt den Blumenkranz, den sie geflochten hat und setzt ihn Mladen auf. Sie streichelt ihn.

SMILJANA:    Ich muß gehen.

Smiljana geht. Mladen bleibt alleine. Er atmet schwer. Er schlägt mit der Hand auf den Boden.

DUNKEL



ELFTES BILD
Sommer 1995. Das Zimmer in Dimitrijes Wohnung. Tag. Der Ventilator summt. Dina kommt herein. Sie ist müde. Sie wirft die Tasche aufs Sofa, gießt sich einen Whiskey ein und schaltet den CD - player ein. Man hört das Lied “Lärm”, von der Band “Disziplin der Wirbelsäule”.  Sie setzt sich und trinkt. Aus dem Zimmer hört man Dimitrijes Stimme.

DIMITRIJE:    Ich schlafe!

Dina dreht noch lauter. Sie nimmt eine Zigarette aus der Handtasche und zündet sie an. Dimitrije kommt in Unterwäsche, in bunten Boxershorts, er ist verschlafen. Er geht zum Player, sagt etwas, was man wegen des Lärmes nicht versteht.
DINA:        Das ist für die Gäste von gestern Abend.

Dimitrije zieht das Kabel aus dem Verstärker, nimmt es mit, zeigt Dina den Mittelfinger der rechten Hand  und geht hinaus. Aus der Küche kommt  Pawle. Er hat eine Küchenschürze umgebunden, in der Hand eine Gabel.

PAWLE:    Wenn Du dieses biorhythmische Konfliktritual beendet hast, würde ich mich gern mit Dir unterhalten...
DINA:    Während der heute früh geschlafen hat, habe ich mich in diesem Irrenhaus von Redaktion abgequält, in dem es fünf Sessel und zwanzig Menschen gibt sie schreit, damit Dimitrije sie hört. und das nach einer Nacht, die ich mit einer Lärmmaschine, genannt Duce, verbracht habe! zu Pawle. Und wo sind die zwei?
PAWLE:    Slava und Duce sind in die Stadt gegangen.
DINA:    Ich hab kein Auge zugemacht, vor allem nicht nach dem die sich hingelegt haben. Ich bin total unausgeschlafen und muß am Nachmittag wieder zur Arbeit, gar bis nach Kosutnjak.  Pawle, träum ich, oder kochst Du wirklich?
PAWLE:    Du träumst nicht.
DINA:        Pawle! Es sind doch nicht...?

Dina springt auf und rennt in die Küche. Aus der Küche hört man einen Begeisterungsschrei, dann kommt sie ins Zimmer zurück und küßt Pawle.
DINA:        Frittierte Calamari! Du bist ein Schatz! Ich werde servieren.

Sie geht zurück in die Küche.

PAWLE:    Dina, bitte, hör mir zu...
DINA:    aus der Küche  Und Zitrone, und Wein... und Knoblauch! Heute wird nicht geküßt...
PAWLE:    Dina, ich versuche Dir etwas zu sagen!

Noch ein Begeisterungsschrei. Aus seinem Zimmer kommt Dimitrije, noch immer in Unterwäsche, verschlafen und genervt. Er geht zur Küche.

DIMITRIJE:    zu Pawle. Diese Frau ist tot.

Pawle legt die Gabel auf den Tisch, nimmt die Schürze ab und schmeißt sie aufs Sofa. Er geht zur Stellage und schenkt sich einen Drink ein.

DINA:    aus der Küche. Dimitrije, Du bist aufgewacht! He, schau was wir zu mittag kriegen. Dimitrije, was machst Du denn...? War ja nur ein Scherz, he,... Dimitrije!

Dimitrije trägt Dina mit einem Arm aus der Küche, in Richtung Badezimmer.

DINA:        Ich hab Schnitt am Nachmittag, Du zerdrückst mir das Kleid.
DIMITRIJE:    Die ganze Nacht haben mich die Bauern auf der Autobahn verarscht...
DINA:        Und ich hab Deine verfickte Huren empfangen...
DIMITRIJE:    Das ist ein Pleonasmus.
DINA:        Wo bringst Du mich hin?
DIMITRIJE:    Und heute Nacht erwartet mich das gleiche Vergnügen...
DINA:        Du wirst mich doch nicht..? Du spinnst.
DIMITRIJE:    Ich muß schlafen!
DINA:        Ich will nicht unter die Dusche. Pawle, rette mich!

Dimitrije trägt Dina in das Badezimmer.

DINA:    aus dem Badezimmer. Laß mich wenigstens ausziehen, was soll ich denn nachher zur Arbeit anziehen.
Aus dem Badezimmer hört man, wie Dimitrije das Wasser aufdreht.

DINA:        aus dem Badezimmer. Nicht das kalte!

Dina schreit. Aus dem Badezimmer kommt Dimitrije, geht zur Stellage, nimmt Pawle das Glas weg und trinkt den Whiskey aus. Er geht in sein Zimmer. Ins Zimmer kommt Dina hereingelaufen. Sie ist ganz naß.

DINA:        Du Idiot! Ich bring Dich um!

Dina rennt Dimitrije ins Zimmer nach. Man hört Schreie, Streiten. Pawle verläßt die Wohnung.  

DUNKEL


ZWÖLFTES BILD
Sommer 1886. Vozdovacko Polje. Smiljana kniet auf der Erde. Sie berührt sie zärtlich mit den Händen. Sie "spiegelt" sich in ihr. Sie nimmt einen Erdeklumpen und beschmiert  ihren Körper, den Busen, das Gesicht. Sie atmet schwer. In der Ferne hört man die Zugssirene.

DUNKEL



DREIZEHNTES BILD
Das Zimmer in Dimitrijes Wohnung. Abend. Dina und Duce sind festlich angezogen, sie stehen neben dem Käfig. Sie haben die Whiskeygläser erhoben und singen dem Papagei ein Geburtstagsständchen. Auf dem Sofa sitzt Slava und trinkt. In ihrem wunderschönen, neuen, weißen Kleid wirkt sie noch zarter. Der Lärm ist stärker als das Summen des Ventilators.

DINA UND DUCE:    Happy birthday to you,
happy birthday to you,
happy birthday dear Clyde,
happy birthday to you!

Alle lachen. Sie stoßen mit den Gläser an und trinken. Alle sind schon ein bißchen angeheitert. Duce schaltet den CD-player ein, eine langsame Nummer zum Tanzen.

DINA:        Hoppala, wir sind romantisch geworden.
DUCE:        kniet sich theatralisch vor Dina hin. Herrenwahl.
DINA:        tut begeistert Endlich.

Dina lacht, sie tanzen. Duce hält sie eng an sich gepreßt.

DUCE:        Ich liebe Deine Partys. Slava, wie steht`s mit Dir?

Slava nickt nur mit dem Kopf und trinkt aus.

DINA:    Sie ist schon betrunken. Ich noch nicht! Schenk mir ein, Duce, schenk mir ein!

Dina erhebt das Glas. Duce nimmt die Whiskeyflasche vom Tisch und schenkt Dina tanzend ein. Whiskey wird um sie herum verschüttet. Sie lachen und tanzen. Slava sitzt schon ganz erschöpft im Fauteuil. Sie schlummert. Dina und Duce tanzen immer leidenschaftlicher. Dina ist auffallend und gekünstelt fröhlich. Sie lacht.

DUCE:        Die vielen Vorbereitungen und dann nichts.
DINA:        Und ich hätte gern gesehen wie Euer Richter ausschaut...
DUCE:        Klein, mollig, steif...
DINA:        Wie Dimitrije.sie lachen.
DUCE:    Wo sich doch unser Dimitrije jetzt dem Asphaltdampf und dem Meinungsaustausch mit fleißigen Bauern aussetzt.
DINA:    Er blutet auf den Barrikaden! Sie lachen. Das heißt, wir verschieben alles auf nächsten Freitag.
DUCE:        Aha.
DINA:        Wohin mit ihr, bis dahin? Sie zeigt auf Slava.
DUCE:        Ich find schon was.
DINA:        Ist sie gut?
DUCE:        Na ja.... eigntlich nicht.

Duce umarmt Dina noch fester, nähert sich ihrem Gesicht. Sie macht sich ein bißchen frei, trinkt aus und hebt das Glas.

DUCE:         Noch?
DINA:        Natürlich.

Duce gießt Dina ein. Sie tanzen weiter. Dina lacht weiter.

DINA:    Ich weiß nur nicht, was für einen Vorwand wir uns für die Sache einfallen lassen werden.
DUCE:    Wir kaufen noch einen Papagei. Sie lachen. Aber diese Wanze weiß doch ganz genau warum wir ihn einladen. Der ist auch nicht blöd. Ich hab Dich heut gegen fünf in der Arbeit gesucht.
DINA:        Du, warum?
DUCE:    Nur so, ich hatte nichts zu tun, die Slava war beim Friseur. Du warst nicht da. Ich hab Deinen Chefredakteur getroffen.
DINA:        Ah ja, und was sagt er?
DUCE:        Er sagt, Du bist ein echtes Wunder.
DINA:    Wie ein Wunder hab ich ausgeschaut wie ich heute zur Arbeit gekommen bin.
DUCE:        Ich versteh nicht?
DINA:    Ich habe Dimitrije aufgeweckt und er hat mich im kalten Wasser gebadet.
DUCE:        Wo?
DINA:        In der Badewanne, wo sonst.

Duce lacht. Dina fängt auch an zu lachen.

DINA:    Für mich wars gar nicht komisch. Zum Glück ist der Cutter nicht erschienen und ich hab die Chance genützt...
DUCE:        ...beim Shopping-Center vorbeizuschauen.
DINA:    Wie man an der Verpackung sieht. sie zeigt auf das neue Kleid, das sie trägt. Dimitrije ist selber schuld, wenn er mir eine Kontovollmacht ausstellt. Ich habe zehn Schecks verbraucht.
DUCE:        Alles für Deine Schönheit.

Duce legt seine Hand auf Dinas Hintern, sie schaut ihn an und schiebt die Hand weg.

DINA:        Und beim Arzt war ich auch.
DUCE:        Bei unserem Blutsauger?
DINA:        Bei dem.
DUCE:    ahmt die Stimme des Arztes nach. “Im Blut sind alle Antworten versteckt, mein lieber Duce!” Entweder dealt er mit einem Institut für Blutkonserven, oder er ist ein Vampir. er hält inne. Dina!
DINA:        Was ist?
DUCE:        Du hast Dich im kalten Wasser verkühlt!
DINA:         Verpiß dich!
DUCE:    Hast Du nicht. Gott sei Dank. Es war also nur ein kleiner Courtoisiebesuch beim Arzt, inspiriert von einem Bedürfnis nach Gesundheitskultur. Zivilisiert, zivilisiert... Laß uns in diesem Rhythmus weitertanzen.
DINA:        Paß auf, Du steigst mir drauf.
DUCE:    Ich! Das ist eine Verleumdung, je mehr Verleumdungen und Lügen, je mehr wird man den Duce lieben!

Dina muß lachen.

DINA:        Du bist ein Schwätzer!
DUCE:        Eloquenz für Eingeweihte!
DINA:        Haben sie Dich deswegen Duce genannt?
DUCE:        Nein, was hat das damit zu tun?
DINA:        Na ja, ich meine, Duce... Mussolini der hat ja auch Scheisse geredet...
DUCE:         Ach das...Nein, nein, damit hats nichts zu tun.
DINA:         Sondern?
DUCE:        Weißt Du, als Kind war ich dick...
DINA:         Pretty face war dick?!
DUCE:    Ja, ja... Von mir hat man nur einen großen Hintern gesehen, wieder legt er die Hand auf Dinas Hintern, sie reagiert nicht. und so haben sie mich Dupce  genannt.
DINA:        Dupce!
DUCE:        Mit der Zeit ist dieses “p” verlorengegangen und so...
DINA:        Dupce... lacht. Selber Schuld. Dupce...

Sie tanzen weiter. Die Musik hört plötzlich auf.

DINA:    Wer hat die Musik abgedreht? Hast Du nicht befohlen ohne Pause zu spielen?
DUCE:    Das habe ich ausdrücklich erwähnt. Schauen wir nach, was der Orchesterchef sagt.

Duce geht zum CD-player. Dina schenkt sich noch einen ein und steht neben Slava. Sie schaut sie an. Slava ist eingeschlafen.

DINA:        Sie schläft.
DUCE:        Diese Japaner pfuschen immer ärger...
DINA:        Sie schaut so zart aus in diesem Kleid.
DUCE:        Fuck, der Verstärker hat den Geist aufgegeben.
DINA:        Wer würde sagen, daß sie eine Schlampe ist.
DUCE:    Ich hab eine Idee. Gehen wir ins “Plateau”, dort gibt`s Live-Musik, die haben auch ein Klavier.
DINA:        Sie ist hübsch, nicht?
DUCE:         Und betrunken, und Du noch nicht.
DINA:        Sollen wir nicht auf Dimitrije und Pawle warten?
DUCE:     Mit Dimitrije brauchst Du nicht mehr zu rechnen, die Bauern sind Dickschädel. Und was Pawle angeht, der hat sich sicher mit seinen Waffenbrüdern versoffen, in irgendeiner klaustrophobischen Kneipe, die ihren ästhetischen Ansprüchen genügt, wenn sie nur an eine Kasernenkantine erinnert. Diese Belebung der Erinnerungen kann, meine liebe, andauern. Sollen wir ohne Musik auf sie warten? Zu trinken haben wir auch nichts mehr.
DINA:        Sag nicht, daß wir alles ausgetrunken haben?
DUCE:         zeigt auf die halbleere Flasche. Fast.
DINA:         zeigt auf Slava. Sie sauft Whiskey wie ein Schwamm. lacht.
DUCE:        Wo ist das Telefon, daß ich einen Tisch reserviere?

Dina zuckt die Schultern.

DUCE:         Das kreative Chaos.
DINA:         Folge dem Kabel.
Duce folgt dem Kabel und geht ins Dinas Zimmer.

DINA:        ruft ihm nach. Darf ich dem Kellner ein Bein stellen?
DUCE:        kommt herein mit dem Telefon in der Hand. Wenn Du für mich spielst.
DINA:        Was?
DUCE:         Chatschaturijan.
DINA:    Die Tokkata. lacht. Und du wirst das Klavier mit Blumen bewerfen....Und die Kristalltränen und das goldene Schiff... Ich stell ihm ein Bein, mitten im “Plateau”, vor dem Chef. Ich geh mich schminken.
DUCE:        Beeil dich.
DINA:        Dupce!

Dina geht in ihr Zimmer, sie lacht betrunken. Duce telefoniert.

DUCE:    Dupce, Dupce...Hallo, “Plateau”? Blacky, bist Du’s? Dup...ich meine, Duce. Ich brauch einen Tisch... Scheiß auf viel los, ich will einen Tisch.

Das Kabel hat sich um die Beine von Clydes Käfig gewickelt, der Käfig fällt hinunter.

DUCE:    Fuck...Nein, nicht Dich, den Scheißvogel....den fliegenden!...Für zwei, ja...Wir sehen uns.

Er legt auf und hebt den Käfig auf. Slava ist von dem Krach aufgewacht.

SLAVA:    Was ist los?
DUCE:        Nichts, der Vogel ist abgestürzt. Schlaf!

DUNKEL


VIERZEHNTES BILD
Mladen, ein Soldat der serbischen Armee, hat den rechten Arm verloren und hinkt auffällig, er leidet.  Er bleibt stehen, hat Pawle erblickt. Pawle und Mladen schauen einander lange an, dann geht Pawle ab. Mladen geht zu Smiljana, die auf der Wiese sitzt. Er setzt sich neben sie.

MLADEN:     Der Müller hat mir gesagt, heut nacht wird niemanden in der Mühle sein.
SMILJANA:    Mladen, Du weißt, daß ich nachts nicht aus dem Haus darf.
MLADEN:     Bei Tag willst Du nicht, nachts darfst Du nicht.
SMILJANA:     Wenn sie mich raushauen, wohin soll ich dann?
MLADEN:    Du hast nichts, wo Du hingehen kannst?
SMILJANA:     Nein.
MLADEN:     Du könntest...
SMILJANA:     Was, Mladen?
MLADEN:     Liebst Du mich?
SMILJANA:     Ich liebe.
MLADEN:     Warum, wenn ich so einer bin?
SMILJANA:     Was für einer?
MLADEN:     So einer. Ein Krüppel, ohne Arm.
SMILJANA:     Na und. Ich liebe Dich auch so.
MLADEN:    Warum?
SMILJANA:     Weil ich es kann.
MLADEN:     Du kannst’s und die andere können’s nicht.
SMILJANA:     Ich kann’s!
MLADEN:     Was kannst Du, den Regen herbeirufen, damit er mir diese Stümpfe netzt, damit mir ein neuer Arm und ein richtiges Bein herauswachsen?  Auch wenn du ihn herbeirufst, dieser Boden ist unfruchtbar, Smiljana.
SMILJANA:     Vielleicht, aber er ist meiner.
MLADEN:     Wenn ich Dich nicht zur Frau nehme, damit Du mir Kinder gebierst, gibt Vuksan den ganzen Besitz dem Onkel.
SMILJANA:     Dann nimm mich.
MLADEN:     Liebst Du mich, Smiljana? Schau mich an! Liebst Du?!!!

Smiljana senkt den Blick. Sie schweigt.

DUNKEL


FÜNFZEHNTES BILD
Sommer 1995. Das Zimmer in Dimitrijes Wohnung. Mitternacht ist vorbei. Der Fernseher ist eingeschaltet, Satellitenprogramm, MCM. Pawle kommt herein. Er hat die Samen für Clyde gebracht. Er geht zum Käfig. Der Käfig ist zugedeckt. Aus der Küche kommt Slava. In der Hand hat sie eine Tasse. Sie trägt nur ein langes T-Shirt und einen weißen Spitzenslip. Der Ventilator summt beharrlich.

SLAVA:    Entschuldige, daß ich so angezogen bin, ich wußte nicht, daß Du gekommen bist.
PAWLE:     Schon in Ordnung. Clyde schläft?
SLAVA:     Ich habe ihn zugedeckt. Ich esse lieber in der Küche.
PAWLE:    Laß nur, setzt Dich her. Ich brauche Gesellschaft. Wo sind die anderen?
SLAVA:    Dimitrije hat Nachtschicht auf der Autobahn und Duce und Dina sind ausgegangen. Ihr CD-player ist kaputt.
PAWLE:    Also haben sie sich auf die Suche nach Musik begeben.
SLAVA:     Ungefähr so.
PAWLE:     Ihr habt also ohne den Richter Geburtstag gefeiert?
SLAVA:    Die haben gefeiert. Ich war... sie zeigt auf die Tasse. ... müde.
PAWLE:    Ich bin auch ... müde. Was hast Du denn da?
SLAVA:     Tomatensuppe. Ich bin das so gewöhnt, aus der Tasse. Willst Du?
PAWLE:    Meistens werde ich erst in der Früh nüchtern.
SLAVA:     Und ich vorm Schlafengehen.
PAWLE:     Gewohnheiten soll man nicht ändern. Ich nehm was Alkoholisches, wenn noch was übrig ist.
SLAVA:     In der Flasche ist noch ein bißchen Whiskey. Soll ich Dir einschenken?
PAWLE:     Ich mach das schon. Iß!

Slava setzt sich aufs Sofa und fängt an zu essen. Pawle legt die Samen auf den Tisch, schenkt sich ein und setzt sich in den Fauteuil.

SLAVA:     Hast Du das für Clyde gebracht? sie zeigt auf die Samen.
PAWLE:    Ich will ihn nicht aufwecken.
SLAVA:    Clyde ist ein schöner Vogel.
PAWLE:    Er war schön, wie ich ihn von Dina zum Diplom bekommen habe. Ihn und Bonnie.
SLAVA:     Bonnie?
PAWLE:    Seine Papageienfrau. Bonnie und Clyde.
SLAVA:    Was ist mit ihr passiert?
PAWLE:    Sie ist aus dem Käfig geflogen und gegen das Fensterglas gestoßen. Du weißt, Vögel haben kein drittes Auge, sie haben kein Gefühl für ... Ich red Scheiße. Wie war die Party?
SLAVA:    Lustig.
PAWLE:    Mit Duce ist ‘s immer lustig.
SLAVA:    Ich kann auch allein feiern, wenn ich einen Anlaß habe.
PAWLE:     Slava, die Feierliche, feiert ... Du bist sicher an einem Feiertag geboren.
SLAVA:    Aha.
PAWLE:    Welchem?
SLAVA:     Ich sag's Dir, wenn Du versprichst, nicht zu lachen.
PAWLE:    Warum sollte ich lachen?
SLAVA:    Weil mein Schutzpatron, der heilige Sisoje der Große ist.

Pawle lacht doch. Slava auch.

PAWLE:    Sisoje! Wann ist denn das, bitte?
SLAVA:    Am neunzehnten Juli.
PAWLE:    Am neunzehnten Juli... lacht weiter. Laß uns drauf trinken, ha?
Alles Gute zum Geburtstag.

Pawle und Slava stoßen an, er mit dem Whiskeyglas, sie mit der Tomatentasse.

SLAVA:    Weißt Du, daß Du der erste bist, der mir zum Geburtstag gratuliert hat? Zwar hast Du Dich fast zwei Monate verspätet...
PAWLE:    Wir wollen nicht von traurigen Dingen reden. Wie alt bist Du geworden?
SLAVA:    Gerade hast Du gesagt wir wollen nicht von traurigen Dingen reden. Einundzwanzig.
PAWLE:    Das ist für Dich traurig. Was soll ich sagen, am achzehnten Dezember werde ich ganze siebenundzwanzig. Eine geradezu antike Tragödie. Schau, in Amerika wärest Du jetzt erst volljährig.
SLAVA:    Leider bin ich nicht in Amerika.
PAWLE:    Leider. Obschon Du hier schneller gereift bist. Rechtlich gesehen.

Slava und Pawle schauen einander an und sprechen gleichzeitig.

SLAVA UND PAWLE: Leider.

Sie lachen.

PAWLE:    In Wahrheit...

Pawle zündet sich eine zweite Zigarette an, obwohl die erste noch im Aschenbecher brennt.

SLAVA:    Bist Du nervös?
PAWLE:    Nein, warum?
SLAVA:     Deine Zigarette brennt noch.

Pawle macht sie aus.

SLAVA:     Dina wollte auf Dich warten.
PAWLE:    Dina wollte immer schon auf mich warten.
SLAVA:    Duce sagt, daß Du in Bosnien warst.
PAWLE:    War ich.
SLAVA:    Als Freiwilliger?
PAWLE:    Nein.
SLAVA:     Wie dann?
PAWLE:    Wegen meinem Personalausweis, Geburtsorte: Zenica.
SLAVA:     Zenica?
PAWLE:    Mein Alter ist Maschinenbauingenieur. Er hat dort im Stahlwerk eine zeitlang gearbeitet.
SLAVA:    Ich hab geglaubt, Du bist Belgrader.
PAWLE:    In Belgrad lebe ich seit meinem fünftem Lebensjahr. Ich war bei Dina im Studentenheim auf der Party. Von dort hat mich die Militärpolizei der Serbischen Republik weggeschleppt und in die Heimat versetzt, beziehungsweise in ein Gebiet etwas weiter westlich. Alles Heiliges Serbisches Land.
SLAVA:    Aber in Deinem Personalausweis steht doch Dein Wohnort.
PAWLE:    Kurz davor hab ich einen neuen Personalausweis beantragt, weil der alte schon abgelaufen war, und das hat gereicht. Außerdem bin ich schon seit den Studentenprotesten 92 auf der Schwarzen Liste.
SLAVA:    Ich versteh nicht?
PAWLE:    Die sind nachtragend. Ich war eines Abends der Hit der TV-Nachrichten. “Kollegen, laßt nicht zu, daß irgendwelche Oswalds, Kovacs und Paravinas, das serbische Volk in einen Bürgerkrieg führen”, das Ganze mit Fotos garniert.
SLAVA:    Paravina, das ist kein serbischer Name.
PAWLE:    Das haben sie auch geglaubt, meine obergescheiten Kollegen, die das geschrieben haben. Aber, siehe da, Oswald hatte Bulatovic geheißen, der Großvater der Olga Kovac ist an der Solunfront umgekommen und meiner noch im zweiten Balkankrieg. Ich habe versucht in diesem zu sterben, hab jedoch mit der Jahrhunderttradition gebrochen.
SLAVA:    Entschuldige, ich wollte Dich nicht...
PAWLE:    Macht nichts, es ist eine beschissene Zeit.
SLAVA:    Hast Du getötet?
PAWLE:    Ich kann mich nicht erinnern... Nur..
SLAVA:    Nur?
PAWLE:    Manchmal kann ich mich erinnern.
SLAVA:    Nur manchmal?
PAWLE:    Ja. Vergessen wir mich für den Moment, zur Abwechslung. Reden wir ein bißchen über Dich.
SLAVA:    Wenn Du mir eine Zigarette gibst.
PAWLE:     Selbstverständlich.

Pawle zündet Slava eine Zigarette.

SLAVA:     Soll ich mir die Lampe ins Gesicht richten?
PAWLE:    Geht auch so.
SLAVA:    Bitte sehr. Die erste Frage.
PAWLE:    Warum bist Du eine Hure?
SLAVA:    verschluckt sich am Zigarettenrauch. Ich muß zugeben, das war ziemlich direkt.
PAWLE:    Ich kann die Formulierung abschwächen.
SLAVA:    Nicht nötig. Nach Belgrad bin ich gekommen, um zu studieren...
PAWLE:    Was?
SLAVA:    Angewandte Kunst, die ich, nebenbei gesagt, nirgendwo anwenden konnte. Dann hat für mich der Krieg angefangen, meine Leute haben kein Geld mehr gehabt, das sie mir hätten schicken können, ich hab ein Jahr wiederholen müssen, und so...
PAWLE:    Einfach so.
SLAVA:    Nicht ganz. Meine Mutter war zuckerkrank, die Schwester noch in der Schule, der Vater an der Front. Insulin ist teuer, wie Du weißt.
PAWLE:    Und das älteste Gewerbe am besten bezahlt.
SLAVA:    Ja, genau.
PAWLE:    Haben Deine Leute gewußt was Du machst?
SLAVA:    Mein Vater hat mir immer gesagt meine Schönheit ist mein Vorzug. Die Mutter hat geschwiegen. Wie sie und meine Schwester bei einem Granatangriff ums Leben gekommen sind, hat mich der Vater in Belgrad gesucht. Er wollte es mir persöhnlich sagen. Da hat er es erfahren.
PAWLE:    Und?
SLAVA:    Er hat nichts gesagt. Er hat mir nur einen Kuß auf die Stirn gegeben. An diesem Abend hat er meinen Zuhälter umgebracht, inmitten der Halle von Hotel “Moskau” und dann... Ich habe Schüsse gehört, zuerst einen... dann noch einen...
PAWLE:    Du warst im Hotel?
SLAVA:    Ich war am Zimmer, mit einem Kunden!

Pause. Slava nimmt das Glas und schenkt sich ein. Sie trinkt schnell aus. Pawle will ihre Haare streicheln, sie stößt seine Hand weg.

SLAVA:    Du bist dran. Woran erinnerst du Dich?
PAWLE:    In diesem Winter haben wir endlich so ein beschissenes Nest eingenommen, um das wir schon das ganze Jahr herumgetanzt sind. Wie ich in dieses Haus reinkomme, seh ich auf einem Bett ein Mädchen liegen. So leblos wie sie war, war sie trotzdem schön. Um sie herum viele Frauen. Eine von ihnen hat gejammert. Das war ihre Mutter. Das Bett, auf dem das Mädchen lag, war blutig. Sie war nicht älter als sechszehn. Sie war an einer Sepsis gestorben.
SLAVA:    Ein Soldatenpuff?
PAWLE:    Ja. Aus dem zweiten Zimmer hat man grauenhafte Schreie gehört.
SLAVA:    Neue Kundschaft - die Sieger. Neue Arbeitskräfte – die Besiegten. Die Kreise, die Kreise...
PAWLE:    Die Mutter hat uns ein Mädchen gebracht, noch nicht groß genug für die Feredsche . Sie sind der Reihe nach über dieses Kind gegangen wie die... Wie ich sie frage, was sie da macht, sagt sie zu mir: “Los, Du auch, mein Kind, geh und räche meine Tochter.” Was ich da in den Augen dieser Frau gesehen habe... Ihre Zähne waren zusammengepreßt, ich habe gedacht, sie bersten. Ich bin in dieses Zimmer hineingerannt und bin schon von der Tür aus auf den Soldaten gesprungen, der die Kleine an ihren dünnen Kindergelenken festgehalten hat, hab mit dem Gewehrkolben auf ihn eingedroschen und hab ihn so zu Boden geworfen. Die Frauen haben den Wirbel gehört, haben sich auf mich und diesen Unglücklichen gestürzt, haben geschrien wie wahnsinnig, gekratzt... Wie sich der Soldat, den ich weggestoßen hatte, aus diesem Haufen herausgearbeitet hat, hat er die Frauen verscheucht, hat die Pistole gezogen und sie mir an die Schläfe gesetzt. Er hat mich gezwungen, mich auf dieses wahnsinnig gewordene Kind zu legen, das nicht einmal mehr die Kraft zu einem einzigen Schrei gehabt hat. Er war bereit mich umzubringen, das hab ich gespürt... Da hat in mir dieser beschissene Lebensinstinkt zu arbeiten begonnen. Ihr Blut hat sich, bei jedem Stoß, in meine Poren, in mein Hirn hineingesogen. Sie ist gestorben, unter mir.

Lange Pause.

SLAVA:    Dimitrije hat mir das doppelte Geld versprochen, wenn ich es schaffe, Dich ins Bett zu kriegen. Damit uns Dina erwischt.

Pawle kehrt Slava den Rücken. Sie kommt zu ihm, umarmt ihn.

SLAVA:    Ich brauch dieses Geld. Ich will weg von hier. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht...

Slava lehnt ihren Kopf an Pawles Rücken. Pawle wendet sich zu ihr. Er streichelt ihr Haar, ihre Wangen, ihre Lippen...

PAWLE:    Weiß das der Duce?
SLAVA:    Na klar, weiß er’s. Er ist für die Auszahlung zuständig.
PAWLE:    Dina ist bei ihm. Es reicht, wenn Du ihm eine Nachricht am Pager hinterläßt, dann warten wir im Bett auf sie und das Geld gehört Dir.
SLAVA:    Und Dina...
PAWLE:    So ist’s am besten, glaub mir.
SLAVA:    Ich weiß, Du glaubst ich bin eine... Ich würd gern heute abend...
PAWLE:    Besser nicht.
SLAVA:    Ich verstehe.
PAWLE:    Du verstehst nicht.
SLAVA:    Bist du traurig?
PAWLE:    Nein.
SLAVA:    Ich auch nicht. Als ob alles Traurige in meinem Leben schon geschehen wäre, und ich nur noch auf’s Ende warte... sie berührt Pawles Lippen. Ich kann`s kaum erwarten, Pawle.
Sie schauen sich lang an. Dann küssen sie sich. In der Ferne hört man einen Zug.

DUNKEL

SECHSZEHNTES BILD
Sommer 1995. Ein Hotelzimmer. Es ist schon fast hell. Duce liegt alleine in einem Doppelbett. Irgendwo im Zimmer hört man den Pager piepsen. Aus dem Badezimmer kommt Dina, sie trägt das Kleid vom Vorabend. Der Zippverschluß am Rücken ist offen. Eine Haarspange hält sie zwischen den Zähnen, die zweite steckt sie ins Haar. Sie ist geschminkt und hergerichtet. Sie kommt zu Duce, dreht ihm den Rücken zu. Sie nimmt die Haarspange aus dem Mund.

DINA:    während sie die Haarspange ins Haar steckt. Mach zu, ich bin spät dran.
DUCE:        Wohin?
DINA:         Zur Arbeit.
DUCE:        Am Sonntag zur Arbeit...
DINA:        Mach mir zu!
DUCE:    Leg Dich nieder und schlaf, ich bitte Dich, und stell diesen Wecker ab.
DINA:    In Hotels gibts keine Wecker, das ist Dein Pager. sie deutet auf den Zippverschluß. Mach schon!
DUCE:    während er ihr den Zippverschluß zu schließen versucht. Du bist wirklich nicht normal. Wo ist er... Wo ist mein Pager?
DINA:        Ich weiß nicht, wo er ist. Mach zu, mir tut schon das Kreuz weh.
DUCE:    Wieso weißt Du’s nicht... Find ihn, lösch ihn, schalt ihn aus, schrei “room-service”...
DINA:        Fick Dich...!

Dina richtet sich mit dem halboffenen Zipp auf. Sie sucht Duces Pager in seinen Sachen, die überall im Zimmer herumliegen.

DUCE:        Scheiß Pager, und warum hab ich ihn nur gekauft...

Duce legt sich den Polster über den Kopf. Dina hat den Pager gefunden.

DINA:    Da ist er, in Deinen Unterhosen. Jetzt mach schon zu. Sie schaltet den Pager aus. Sie stellt sich so, daß er ihr das Kleid zumachen kann.
DUCE:        Lies es mir vor.
DINA:        Sei so gut und hör auf, mich zu verarschen.
DUCE:        Lies mir vor, lies es...

Duce dreht sich zu ihr, um das Kleid zuzumachen. Ihr Hintern ist in Höhe seines Gesichts. Er beißt hinein. Sie springt weg.

DINA:        Du Vieh!
DUCE:        Mampf, mampf...

Dina liest die Nachricht am Pager. Sie ist überrascht, erschrocken.

DINA:        Was ist das... Was ist das, Duce?!
DUCE:        Der morgendliche Geschmack eines Hintern auf meinen Lippen.
DINA:        Ihr seid nicht normal.
DUCE:        Ich hab nur ein bißchen dran geknabbert.
DINA:        Ihr seid nicht normal!!!
Dina wirft den Pager nach Duce, trifft ihn am Kopf und rennt aus dem Zimmer.

DUCE:         Au, Du Hure, Du verrückte, fuck...

DUNKEL

SIEBZEHNTES BILD
Die Wohnung. Im Zimmer fehlen ein paar Kleinigkeiten. Vor dem Fenster steht Pawle. In der Hand hält er eine Whiskeyflasche, “Four roses”. Er trinkt aus der Flasche. Er ist schon leicht betrunken. Man hört nur das Summen des Ventilators. Ins Zimmer kommt Dimitrije, außer Atem und nervös. Erblickt Pawle.
DIMITRIJE:    Wo ist sie?
PAWLE:    Schaut die Flasche an. Vier Rosen. Die eine, mit der sie Dich aufgeputzt haben, war Dir zu wenig.

Dimitrije geht zu Dinas Zimmer. Sieht daß es leer ist.

DIMITRIJE:    Wo ist Dina, Pawle?
PAWLE:    Eines muß man zugeben, Du bist ihnen teuer gekommen. Die Wohnung, der Chauffeur...
DIMITRIJE:    Sie hat ihre Sachen genommen.
PAWLE:    Und Du und ich, wir beide wollten ihren Rücktritt. Scheiß drauf, ich würde ihn auch nicht anbieten...
DIMITRIJE:     Warst Du da wie sie ihre Sachen mitgenommen hat?
PAWLE:    Du hättest ihn gestern abend auch nicht angeboten, wenn Du nicht gemußt hättest. Ich hab die Frühnachrichten gehört...
DIMITRIJE:    packt Pawle am Kragen und stößt ihn in einen Fauteuil. Hör mir einmal zu! Dein Arzt hat mich angerufen.
PAWLE:    Die Bauern haben Dich fertig gemacht. Aber Du hast Dich schon abgesichert. Ein Tankwagen mehr oder weniger ... Man ist ja nicht kleinlich. Wann beginnt der Tankstellenbau?
DIMITRIJE:    Hast Du...?
PAWLE:    Ich habe Slava nicht gefickt, wenn Dich das interessiert.
DIMITRIJA:    Slava ist mir scheißegal. Hast du mit Dina geschlafen, seit Du zurück bist?
PAWLE:    Mit Deiner oder meiner Dina?
DIMITRIJE:    Mensch, du hast AIDS. Da hört sich der Spaß auf!
PAWLE:    Also Du hast mit ihr geschlafen, mein Freund... Ich würde nie mit der Deinigen...
DIMITRIJE:     Mit dem Schwanz habt ihr in Bosnien gekämpft. Sag!
PAWLE:    Angeschissen hast Du Dich, ha? Dina war auch beim Arzt.
DIMITRIJE:    Besoffener Trottel...
PAWLE:    Sie hat mir gesagt, daß sie Dich nicht liebt, Dimitrije!

Pause.
PAWLE:    Sie hat zu mir gesagt, Du bist ein fetter Glatzkopf, vollgestopft mit Geld...
DIMITRIJE:    Du lügst!
PAWLE:    Gestopft mit Geld...

Dimitrije will Pawl schlagen, der fängt aber geschickt seine Hand ab und wirft ihn zu Boden. Pawle zieht unter dem Fauteuil. Dinas Kleid hervor, das sie in der letzten Nacht an hatte.

PAWLE:    Ein schönes Kleid hast Du ihr gekauft. er wirft Dimitrije das Kleid zu  Riech dran, Du wirst diesen Geruch noch nötig haben.
DIMITRIJE:    Warum bist du überhaupt gekommen, warum...
PAWLE:    Wie ich dort oben war, habe ich mich ständig gefragt, wieso die Militärpolizei ausgerechnet in dieser Nacht in dem Heim eine Razzia durchgezogen hat, und wieso von der Gemeinde nie eine Bestätigung über meinen Wohnsitz gekommen ist. Dort hab ich keine Antwort gefunden, so bin ich hergekommen damit Du mir Antwort gibst.
DIMITRIJE:    Fuck you, Dina hat`s auch gewußt.

Pawle packt Dimitrije, hebt ihn hoch.

PAWLE:    Du bist erledigt, Dimitrije...      
DIMITRIJE:    Fuck you!
PAWLE:    Erledigt...

Pawle läßt Dimitrije los. Der fällt kraftlos zu Boden. Langes Schweigen.

DUNKEL

ACHTZEHNTES BILD
Über die Wiese rennt keuchend Smiljana. Ganz in Weiß. Auf ihrem Gesicht Ohnmacht. Angst. Haß.

SMILJANA:    Vuksan, Mladen hat sich im Apfelbaum erhängt. Er hat sich erhängt, Vater!

DUNKEL


NEUNZEHNTES BILD
Das Vozdovacko Polje. Höllische Hitze. Inmitten des Feldes ein Steinkreuz. Über dem Kreuz der Apfelbaum. Unter dem Kreuz hat sich Smiljana im waissen Brautkleig zu einem Bündel zusammengerollt. Sie ist schöner denn je. Sie singt leise. Sie fleht den Regen herbei. Links vom Kreuz Dina, im weißen Kleid vom Beginn. In einer Hand hält sie einen Koffer, in der anderen einen Papierdrachen. Sie hebt ihn hoch. Es gibt keinen Wind, der ihn fliegen ließe. Das Klavierstück vom Anfang, die Schönheit der Dissonanzen Chatschaturijans. Rechts vom Kreuz Slava, ebenfalls in weißem Kleid und mit Koffer. In der Ferne undeutliche Kriegsgeräusche. Plötzlich hört man die Zugssirene. Smiljana erhebt sich, Dina und Slava tun je einen Schritt. Alle drei schauen in Richtung des Zuggeräusches. Und dieses wird immer lauter.

SMILJANA:    Würmer aus dem Apfel raus,
hey dodo, hey dodole,
Daß ich zubeiß ohne Graus,
hey dodo, hey dodole,
Fauler Samen, fauler Ast,
hey dodo, hey dodole,
Solche Speise schluckt mich fast,
hey dodo, hey dodole,
Es soll wie aus Kanonen krachen,
hey dodo, hey dodole,
Und die Erde finster machen,
hey dodo, hey dodole,
Was lang steht wird dumpf und schal,
hey dodo, hey dodole,
Doch das macht IHM keine Qual,
hey dodo, hey dodole,
Kann sein IHM ist ums Wasser leid,
hey dodo, hey dodole,
Will andere zu anderer Zeit,
hey dodo, hey dodole,
Die anderen sind jetzt schon schuld,
hey dodo, hey dodole,
Langes Leben braucht Geduld,
hey dodo, Du lieber Gott.

Aus der Ferne taucht eine große rußige Dampfwolke auf. Langsam bedeckt sie das Feld. Der Zug fährt ab. Smiljana, Dina und Slava stehen wie angewurzelt und hören auf die Zugssirene, die langsam in der Ferne verklingt. Kein Wind. Durch die Luft ziehen nur die lebhaften Dissonanzen. Sie verschmelzen, momentenweise sind sie aufregend, werden großartig. Sie sind Wind, sie sind Regen. Ein Apfelregen.

ENDE